Wer glaubt, als Paddler hätte man im Winter nichts zu tun, irr sich gewaltig. Denn gerade wenn bei uns Minusgrade vorherrschen und der Winterdienst nicht mehr mit dem Schneeräumen hinterher kommt, laufen die Wildwasser Reviere der südlicheren Regionen auf Hochtouren. Als eher unbekannte aber dennoch traumhafte Winterdestination steht Galizien im Nordosten Spaniens dieses Jahr wieder ganz oben auf meiner Reiseliste.Eingebettet in eine mediterrane Gebirgslandschaft mit schönen Mischwäldern und südländisch typischer Strauchvegetation fließen hier auf engstem Raum zahlreiche Bäche und Flüsse, die alles bieten, was Paddlerherzen höher schlagen lassen: Wasserwucht, filigrane Stufenkombinationen und Spielstellen, alles in Granit eingefasst. Die Distanzen sind dabei gering. Hat man erstmal die aufreibende Anfahrt von gut 2500 Kilometern geschafft, verbringt man vor Ort nur noch wenig Zeit im Auto.
Das Galizische Gebirge erhebt sich fast direkt aus dem Meer heraus und steht wie ein Bollwerk den Westwinden des Atlantiks gegenüber. Besonders in der feuchten Winterzeit regnen sich die Wolken regelmäßig an den gut 2000 Meter hohen Bergen ab. Ende Februar peitscht ein orkanartiges Tiefdruckgebiet mit tagelangen Regenfällen über Spanien und Frankreich hinweg. Sarah, eine befreundete Paddlerin aus Bern und ich nutzten die Gunst der Stunde (und unsere Semesterferien) und machen uns auf den Weg nach Süden.
Einen ersten Zwischenstop legen wir gleich in Lyon ein. Auch hier hat das Unwetter für hohe Wasserstände gesorgt. Der bei der Anfahrt noch extrem peitschende Wind lässt zum Glück schnell nach und so toben wir uns den ganzen Tag unter perfekten Bedingungen auf Hawaii sur Rhone aus.
Abends geht’s mit Toon, dem Verleger des Kayak Session Magazine, in ein edles Restaurant im Stadtkern von Lyon. Gestärkt von der exquisiten französischen Küche machen wir uns schließlich am nächsten Morgen wieder an die Weiterfahrt nach Spanien, denn es liegen noch 1500 zähe Kilometer vor uns, für die wir fast zwei weitere Tage und mehrere Hörbücher benötigen.
Zunächst zieht es uns nach Frieira an die Welle auf dem Rio Miño. Doch eben dieser führt ob der langen Regenfälle noch absolutes Hochwasser. Die Uferböschung steht beinahe völlig unter Wasser und unsere ersehnte Welle lässt sich bei diesem Pegel nur erahnen. Aber halb so wild, liegt doch Galizien unmittelbar an der Grenze nach Portugal und nur einen Katzensprung von den dortigen Surfstränden entfernt. Also wieder los, ab nach Afife, dem nächstgelegenen Spot am Atlantik. Das Wetter ist nieselhaft und windig, aber gerade dieser Wind sorgt morgens und abends für großartige Wellenbedingungen. Auf Grund der kühlen Witterung sind wir beinahe die einzigen auf dem Wasser und so surfen wir stundenlang in der Brandung, bis wir Blasen an den Händen bekommen.
Nach zwei Tagen bessert sich das Wetter und die Wasserstände sinken. Wir beschließen, in den nördlichen Teil Galiziens zu fahren, um ein paar der Wildwasserklassiker genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf dem Weg dorthin verbringen wir einen Abend in Pontevedra, einem malerischen Fischerstädtchen an der Atlantikküste. In einer kleinen Bar am Rande der Altstadt, die durch ihre engen gemauerten Gässchen und vielen Kirchen ganz dem südländischen Flair entspricht, genießen wir Tapas, Pulpo, Empanadas und Flan. Galiziens kulinarische Feinheiten zählen zum besten, was die spanische Küche zu bieten hat.
Endlich im Wildwasser Paradies angekommen rauschen wir den Rio Deza und Lerez bei Optimalpegel hinab.
Abends finden wir stets urlaubsgerechte Sonnenuntergansspots in einer abgelegenen Ecke zum campieren und Sarah lässt es sich nicht nehmen, ihr vorzügliches Kochtalent unter Beweis zu stellen.
Aber nach zwei Tagen Wildwasser Paddeln wird Sarah krank und bekommt ernste Magenprobleme. Wir beschließen, eine Nacht in einer warmen Pension zu verbringen und dann wieder in den Süden zurück zur Welle an den Rio Miño zu fahren. Dieser hat tatsächlich mittlerweile deutlich weniger Wasser und so zeigt sich die Welle in Frieira von ihrer besten Seite.
Unmittelbar hinter einem Wasserkraftwerk gelegen ist der Zustand der Welle auch von Tageszeit und Strombedarf der anliegenden Ortschaften abhängig. Bei Optimalpegel bildet sich auf der rechten Flussseite eine schaumige Welle mit tiefem Tal, auf der sämtliche erdenklichen Figuren möglich sind.
Durch das dicke Schaumpolster ist es nicht schwer, auch komplexere Moves zu stehen, und so endet mancher Lauf erst nach 10 langen Minuten durch völlige Erschöpfung. Einziger Wehrmutstropfen ist, dass man anschließend jedes Mal das mit Dornengestrüpp bewachsene Ufer hinaufklettern muss, um wieder zu ersehnten Welle zu gelangen.
Sarah und ich campen auf der gegenüberliegenden Uferseite vor dem Ferienhaus eines älteren portugiesischen Ehepaares, das uns mit unerwarteter Gastfreundschaft begegnet. In einer Mischung aus Französisch, Italienisch und Spanisch haben wir so manch lustige Unterhaltung. Die restlichen Tage unseres Urlaubs verbringen wir nun hier an der Welle. Der Tagesablauf ist dabei stets der gleiche. Schlafen, bis die Sonne aufgeht und das Olivenöl vom festen in den flüssigen Zustand übergeht. Einem ausführlichen Frühstück folgt eine Paddelsession, Mittagessen, wieder eine Paddelsession und schließlich ein ausgedehntes Abendessen bei Sonnenuntergang. Die Zeit vergeht wie im Flug. Und schneller als uns lieb ist befinden wir uns abfahrbereit wieder im Auto mit einer Heimfahrt von 2500 Kilometern vor Augen und einer Flasche selbtgemachten Weins von unserem sympathischen Nachbarn im Gepäck. Einen Vorsatz haben wir aber schon beschlossen: wir kommen bald wieder!
Fotos: Jean Pierre Benacchio, Sarah Hangartner, Seppi